Ground Truth Sozialstaat (KI protokolliert)
Host: Ben & Benjamin, Förderfunke
Kernproblem und Ausgangslage
Die Präsentation thematisiert die fragmentierte Landschaft deutscher Sozialleistungen, die historisch zu einem komplexen, schwer navigierbaren System angewachsen ist. Ein zentrales Problem manifestiert sich in der niedrigen Inanspruchnahme: Beispielsweise ruft jede dritte anspruchsberechtigte Person den Kinderzuschlag nicht ab, oft aufgrund mangelnden Wissens oder schambesetzter Barrieren.
Lösungsansatz: Gemeinsame Datengrundlage
Konzeptuelle Vision
Die Referenten schlagen die Entwicklung einer strukturierten, maschinenlesbaren "Ground Truth" für Sozialleistungsregeln vor. Diese soll als gemeinsame Datengrundlage verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure, Wohlfahrtsverbände und wissenschaftliche Institutionen befähigen, ohne redundante Interpretationsarbeit effektive Tools zu entwickeln.
Konsortium-Modell
Vorgeschlagen wird ein Konsortium aus:
- Zivilgesellschaftlichen Organisationen
- Wohlfahrtsverbänden
- Wissenschaftlichen Institutionen
- Unternehmen
- Möglicherweise öffentlicher Hand
Jeder Akteur bringt spezifische Eigeninteressen mit, die nachhaltige Partizipation gewährleisten sollen.
Technische Implementierung
Datenstandards und Interoperabilität
- Open Source-Ansatz mit Linked Open Data
- Aufbau auf etablierten Standards zur Vermeidung proprietärer Insellösungen
- Maschinenlesbare Transformation gesetzlicher Grundlagen
- Pragmatische, leichtgewichtige Datenformate
Qualitätssicherung ohne Rechtssicherheit
Das System würde bewusst nicht den Anspruch auf Rechtssicherheit erheben, sondern sich auf Aktualität und Expertenwissen stützen. Rechtssichere Entscheidungen blieben staatlichen Strukturen vorbehalten.
Anwendungsszenarien und Potenziale
Direkte Nutzungsformen
- Automatisierte Anspruchsprüfungen (Eligibility Checks)
- Niederschwellige Selbstabfragen durch Bürger*innen
- Integration in Beratungsstrukturen
Wissenschaftliche und analytische Anwendungen
- Demografische Analysen zur Chancengerechtigkeit
- Simulation von Reformszenarien ("Digital Twin")
- Identifikation von Entbürokratisierungspotenzialen durch Process Mining
- Korrelation mit Haushaltsdaten und Geldfluss-Tracking
Governance-Innovationen
- Harmonisierungs- und Deduplizierungsvorschläge
- Kombiformulare für kommunale Anwendungen
- Tracking von Gesetzesänderungen und deren Auswirkungen
Diskutierte Herausforderungen
Governance-Komplexität
Teilnehmende thematisierten die Schwierigkeit, Entscheidungsprozesse in einem heterogenen Konsortium zu organisieren, insbesondere bei ungleichen Expertiseverteilungen zwischen Akteuren.
Gerechtigkeitsparadoxon
Eine kritische Diskussion entwickelte sich um potenzielle Ungerechtigkeit durch Transparenz: Könnten besser informierte, ressourcenstärkere Gruppen überproportional profitieren, während vulnerable Zielgruppen weiterhin ausgeschlossen bleiben?
Systemische Risiken
Bedenken wurden geäußert bezüglich möglicher negativer Konsequenzen erhöhter Transparenz, einschließlich potenziellem Missbrauch für spekulative Zwecke oder unbeabsichtigter Ausschlusseffekte.
Positionierung gegenüber staatlichen Digitalisierungsinitiativen
Komplementärer Ansatz
Die Referenten positionierten ihr Vorhaben explizit nicht als Konkurrenz zu staatlichen Digitalisierungsbestrebungen, sondern als komplementäre zivilgesellschaftliche Initiative, die:
- Bestehende Expertise in Beratungsstrukturen wertschätzt
- Edge-Computing-ähnliche dezentrale Verarbeitung ermöglicht
- Standards für eventuelle staatliche Übernahme vorbereitet
Pragmatismus vs. systematische Reform
Während langfristig proaktive staatliche Systeme angestrebt werden, fokussiert der Ansatz auf sofort umsetzbare Verbesserungen im bestehenden System.
Anknüpfungspunkte und Referenzprojekte
Internationale Vorbilder
- Open Fisca (Frankreich): Ministerial entwickeltes, später geöffnetes Regelsystem
- Niederländische Open Government-Initiativen
- Schweizer proaktive Informationssysteme bei Lebensereignissen
Deutsche Vernetzungsmöglichkeiten
- Allianz für resiliente Informationsgesellschaft
- FIT-Connect und XÖV-Standards
- Behördenspiegel-Community
- Law as Code/Rules as Code Communities
Implementierungsüberlegungen
Schrittweise Entwicklung
Empfohlen wurde eine evolutionäre Herangehensweise:
- Fokus auf Vorab-Screening statt vollständige Antragsprozesse
- Verschiedene Detailgrade je nach Anwendungskontext
- Enge Kooperation mit kommunalen Partnern
- Integration bestehender Beratungsstrukturen
Ressourcenbedarf
Als zentrale Herausforderung identifizierten die Referenten die arbeitsintensive Extraktion und Strukturierung bestehender Regelwerke, für die sie derzeit KI-gestützte Ansätze explorieren.
Fazit und Ausblick
Die Diskussion verdeutlichte sowohl das innovative Potenzial als auch die strukturellen Herausforderungen des vorgeschlagenen Data Commons-Ansatzes. Während technische Machbarkeit und gesellschaftlicher Bedarf weitgehend anerkannt wurden, erfordern Governance-Modelle, Gerechtigkeitsaspekte und nachhaltige Finanzierung weitere konzeptionelle Entwicklung.
Die Initiative zeigt exemplarisch zeitgenössische Bestrebungen, digitale Infrastrukturen für soziale Gerechtigkeit zu entwickeln, die staatliche Kapazitäten ergänzen ohne diese zu ersetzen.